Gendern für das Selbstbewusstsein

CM RedaktionAllgemein, Gendersensibilität, News

Erst vor wenigen Monaten verbot Bayern die Verwendung gendergerechter Sprache mit Sonderzeichen wie Unterstrichen oder Sternchen (Bayerische Staatsregierung 2024) – ein Beschluss, der viel Kritik hervorgerufen hat. Warum gendergerechte Sprache wichtig ist und was das mit dem MINT-Bereich zu tun hat, lesen Sie hier.

Warum ist gendersensible Sprache wichtig?

Die Soziologie geht davon aus, dass gesellschaftliche Wirklichkeit sozial konstruiert wird. Das geschieht über jede Handlung, bei der wir uns auf bestehendes Wissen beziehen und dieses reproduzieren, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Ein einfaches Beispiel: Wenn wir in einen Bus steigen, in dem nur ein weiterer Fahrgast sitzt und alle anderen Plätze frei sind, werden wir uns kaum neben die andere Person setzen, vermutlich auch nicht direkt vor oder hinter sie. Stattdessen werden wir einen Platz mit ausreichendem Abstand wählen, ohne darüber nachzudenken. Wir kennen die „Regel“, nach der es nicht angemessen wäre, sich neben jemand Fremdes zu setzen, wenn genug andere Plätze frei sind. Indem wir uns entsprechend verhalten, sorgen wir dafür, dass diese „Regel“ fortbesteht.

Genauso ist es mit der Sprache: „Je nach dem, wie ich mich auf die Wirklichkeit beziehe, lenke ich die Wahrnehmung, so wie ich die Wirklichkeit sehe, meiner Kommunikationspartner“, sagt Heidrun Deborah Kämper, Professorin für Germanistik am Institut für Deutsche Sprache, gegenüber dem Deutschlandfunk. Sprache löst Assoziationen aus. Verwendet ein Satz das generische Maskulinum und spricht beispielsweise von „Studenten“, stellen die meisten sich eine Gruppe Männer vor, wird dagegen eine gendergerechte Sprache genutzt und von „Studierenden“ oder „Student_innen“ gesprochen, erweckt das Assoziationen einer diverseren Gruppe.

Erhöhte Wichtigkeit des Genderns im MINT-Bereich

Besondere Wichtigkeit erhält eine gendergerechte Sprache bei Berufsbezeichnungen und unter diesen im MINT-Bereich. Für eine Studie legten Vervecken und Hannover (2015) Kindern im Alter von sechs bis zwölf Jahren Berufsbezeichnungen vor. Bei einer Gruppe waren diese geschlechtsneutral formuliert, die andere erhielt Bezeichnungen entsprechend des „typischen“ Geschlechtshintergrunds des Berufs (z.B. Automechaniker, Kosmetikerin). Dabei stellten sie fest, dass Kinder, die geschlechtsneutral formulierte Berufsbezeichnungen erhielten, diese für erreichbarer hielten, auch wenn der „typische“ Geschlechtshintergrund ihrem eigenen Geschlecht widersprach: Mädchen trauten sich zum Beispiel eher zu, im traditionell männlichen MINT-Bereich zu arbeiten. Gerade hier scheint es also besonders wichtig, geschlechtergerechte Sprache zu verwenden, um bestehende Ungleichheiten abzubauen.

Tipps zum praktischen Gebrauch

Wie gendergerechte Sprache konkret aussehen sollte, wird verschieden bewertet. Abzuraten ist von Doppelbezeichnungen wie „Studentinnen und Studenten“, da diese zwar Frauen und Männer einbeziehen, aber keine Menschen, die sich keinem dieser Geschlechter zuordnen. Der durch verschiedene Sonderzeichen kennzeichenbare Gender Gap tut dies (Student_innen, Student:innen, Student*innen etc.), wird aber oft abgelehnt, da er den Lesefluss beeinträchtige und in der gesprochenen Sprache schwer umsetzbar sei. Eine andere Möglichkeit sind neutrale Begriffe wie „Studierende“. Hilfe beim Finden passender Bezeichnungen bietet das Genderwörterbuch GESCHICKT GENDERN.

Quellen

Bayerische Staatsregierung (2024, 19. März): Pressemitteilungen. Herrmann: Bayern beschließt Verbot der Gendersprache. Auf: https://www.bayern.de/herrmann-bayern-beschliesst-verbot-der-gendersprache/ (abgerufen am 21. Juni 2024).

Smiljanic, Mirko (2021, 29. Juli): Streit ums Gendern. Was sich aus früheren Sprachdebatten lernen lässt. Auf: https://www.deutschlandfunk.de/streit-ums-gendern-was-sich-aus-frueheren-sprachdebatten-100.html (abgerufen am 21. Juni 2024).

Vervecken, D. / Hannover, B. (2015): Yes I can! Effects of gender fair job descriptions on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy. In: Social Psychology, 46, 76–92.